Wundertüte Laos

Auf meinem Weg zur letzten asiatischen Reisedestination Thailand bin ich in Laos angelangt. Ein spannendes Land. Ein armes Land. Ein Land mit einer langen und traurigen Geschichte und einer ungewissen Zukunft. Doch die grösste Überraschung waren nicht die mittellosen Menschen im Hinterland, sondern die vielen, vielen westlichen Touristen. Wer keine Backpackers mag, findet hier die Hölle auf Erden.

Laos – Land der Einmillion Elefanten. Das war einmal. Heute sollen es gerade mal noch Eintausend sein, die dem Jagdfieber der Einheimischen entkommen sind. Zu Gesicht bekommen werde ich auf meiner sechstägigen Durchreise keinen einzigen. Laos ist ein Land, das Staunen und Kopfschütteln gleichzeitig lässt. Auf einer Fläche sechsmal so gross wie die Schweiz leben gerade mal etwas mehr als sechs Millionen Menschen. Das hochbuddhistische Land erholt sich immer noch von seiner Vergangenheit. Von der französischen Kolonialisierung, deren Züge nach wie vor erkennbar sind, und von den japanischen Invasoren im Zweiten Weltkrieg.

Das schlimmste Kapitel aber schrieb der einzige Binnenstaat Südostasiens in den Jahren des Vietnamkriegs, als die amerikanische Luftwaffe den Ho-Chi-Minh-Pfad im Grenzgebiet bombardierte. Die Air Force soll auf das damals neutrale Laos pro Einwohner geschätzte 2,5 Tonnen Sprengsätze abgeworfen haben. Damit zählt es zu den am schwersten bombardierten Ländern weltweit. Bis heute wurden und werden keine Ersatz- und Reperaturzahlungen geleistet. Bis heute sind weite Teile des Hinterlandes mit Blindgängern verseucht, die herumspielenden Kindern der ärmlichen Bevölkerung immer wieder einen Arm oder ein Bein wegreissen.

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Auf dem einstündigen Flug von Hanoi in die ehemalige Königsstadt Luang Prabang mache ich mich auf das Schlimmste gefasst. Und werde mit dem Unwahrscheinlichsten überrascht: Denn der Ort, umgeben von Bergen und dichten Urwäldern, ist wohlhabend. Die Strassen sind asphaltiert und sauber, Cafés und Restaurants reihen sich an Hotels und Hostels. Die Strassen sind voll mit Souvenirläden – und westlichen Touristen. Nirgends auf meiner bisherigen Reise habe ich so viele europäische Gesichter gesehen. Bärtige Männer in Pluderhosen, die Gitarre am Rücken und jede Menge eintöniger Reisegeschichten im Gepäck, Frauen in schludrigen Gewändern, Weltverbesserungs-Lächeln und langen Stofftaschen aus der Hippie-Zeit. Hauptsache andere westliche Besucher treffen und am Lagerfeuer des Hostels die erlebten Räubergeschichten teilen. Der Kontakt mit der lokalen Bevölkerung bleibt dabei oftmals aussen vor.

Doch wer die goldenen Pagoden und Tempel in Luang Prabang oder den prächtigen Wasserfall mit seinen Terassen-Lagunen 30 Kilometer ausserhalb besuchen will, muss hier durch. In der Stadt, die vom braunen Mekong umgarnt wird, kommt man wunderbar zu Fuss zurecht. Wer aber des Laufens müde ist, kann für ein paar Tausend Kit (laotische Währung) in ein Tuktuk hüpfen. Sie sind das einzige Fortbewegungsmittel, Taxis oder Stadtbusse gibt es nicht. Die Einheimischen sind stolze Menschen. Sie sind weitaus zurückhaltender als die Vietnamesen, aber genauso herzlich. Mit ein Grund dürfte wohl sein, dass ihnen nähere bis körperliche Beziehungen zu Ausländern per Gesetz verboten sind.

Mein Zeitplan für Laos und Thailand ist relativ straff. Nach wenigen Tagen gehe ich südwärts. Es gibt drei Möglichkeiten, um der Hauptstadt Vientiane an der thailändischen Grenze näherzukommen: Per Flugzeug, Bus oder Speedboot. Mit dem Flugzeug sieht man nichts von Land und Leuten. Das Speedboot soll laut Reiseberichten „ridiculously dangerous“ sein. Bleibt also nur die Busfahrt. Von Luang Prabang in das ebenfalls touristische Vang Vieng führt gerade mal eine Strasse, die auf Google Maps aussieht wie eine missratene Schnürchenschrift. Ich reise per Minivan, 6,5 Stunden. Die Strasse, mal asphaltiert, mal bestehend aus Kies oder plattgewaltzter roter Erde, windet sich über so viele Pässe, dass ich das Zählen nach kurzer Zeit aufgebe. Und hier ist nichts. Wirklich nichts als Berge, Urwald und diese eine Strasse, die mehr und mehr im Nebel versinkt. Ab und zu kreuzt ein anderer Minivan oder Reisecar, in der Regel spärlich beleuchtet. Lastwagen, Motorräder und Autos werde ich bis Vientiane nur wenige sehen – letztere sind in aber gross, neu und teuer.

Wir schieben drei Stopps ein. An den Strassenrändern verkaufen Frauen an behilfsmässig eingerichteten Ständen Früchte, Grillfleisch, Fastfood und Getränke. Manche von ihnen müssen lange auf Kundschaft warten. Hier ist die arme Bevölkerung Laos. Die Kinder spielen barfuss im Dreck, die Grossmütter sitzen geistesabwesend vor den einfachen Holzverschlägen, die Grossväter fehlen. Wilde Hunde kreuzen die Strasse, herumtrottende Kühe versperren die Durchfahrt. Sie grasen zwischen den Müllhalden in den Mulden. Dort wo keine Dörfer sind, nehmen die Plastikabfälle ab. Klare Bäche rauschen unter den Steinbrücken. Noch ist niemand hier, um sie zu verschmutzen.

In Vang Vieng, das einer amerikanischen Durchfahrtsstadt gleicht, verbringe ich die Nacht. Der Ort direkt am grossen Fluss war bis vor Kurzem noch die Partyhochburg des Landes. Nach ausufernden Festen der westlichen Touristen und einem Todesfall im Mekong liess die kommunistische Regierung von Laos viele Bars und Nachtclubs schliessen. Mit ein Grund, weshalb Laos ein extrem ruhiger Ort geworden ist.

Die Weiterfahrt nach Vientiane dauert weitere 3,5 Stunden. Je näher der Minivan der Hauptstadt kommt, desto nobler und dichter werden die Behausungen. Der Verkehr nimmt leicht zu, dennoch ist er im Vergleich zur Bevölkerung gering. Ein Liter Benzin kostet hier etwa einen Euro, was verglichen zum durchschnittlichen Einkommen extrem teuer ist.

In Vientiane treffe ich, neben all den Backpackern selbstverständlich, die urbane laotische Bevölkerung an. Diese ist bereit und imstande, auch mal tiefer in die Tasche zu greiffen. Etwa für die französischen Cafés und Restaurants, die das Stadtbild prägen. Oder für die teuren Samsung und Apple-Läden. Luxus-Komplexe und Autobahnen stehen zudem auf der To-do-Liste der Regierung. Man wünscht den Menschen auf dem Land den Fortschritt aus Vientiane oder den Nachbarländern, aber auf der anderen Seite ist klar, wohin dieser führen wird: Zu mehr Verkehr, teureren Preisen und noch mehr Verschmutzung. Ist es das, was Laos wirklich will?