Bröckelndes Portugal

Hand aufs Herz: Wem klingelts beim Namen Macau? Die Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China, zirka 50 Kilometer westlich von Hong Kong gelegen, ist in unseren Breitengraden eine eher unbekannte Grösse. Das sollte nicht sein. Denn die zwei Inseln sind europäischer, als man dies denken mag. Ein Tagesausflug in eine ehemals portugiesische Kolonie, die heute einem wahren Ameisenhaufen gleicht. Die Schweiz zählt fast 200 Einwohner pro Quadratkilometer. Das ist, europaweit gesehen, viel. Hong Kong steht gar mit 6400 Einwohnern auf derselben Fläche da. Doch Macau, dessen Hoheitsgebiet gerade mal 28,2 Quadratkilometer misst, beherbergt sagenhafte 20’000 Menschen pro Quadratkilometer. Wie ist so etwas überhaupt möglich?

Als die Portugiesen im 16. Jahrhundert auf Macau landeten, lebten dort nicht mehr als ein paar Fischer. Heute sind es über 570’000 Personen, die in engen Hochhäusern wohnen. Bezogen auf die Fläche dürfte Macau somit das dichtbesiedeltste „Land“ auf der Welt sein. Die täglichen Touristenströme aus Hong Kong und Festlandchina sind dabei noch nicht eingerechnet. Seit die Zone 1999 von Portugal offiziell an China abgetreten wurde, geniesst Macau Autonomie – sogar mehr als der Nachbar Hong Kong, der immer stärker unter den politischen Druck von Peking gerät. Viele Junge, so wurde mir gesagt, denken deshalb über eine Immigration nach Taiwan nach.

DSCN2383 DSCN2387

Macau derweil kennt solche Probleme (noch) nicht. Lediglich Aussenpolitik und Landesverteidigung werden von Festlandchina übernommen. Und Macau ist reich: Im letzten Jahr soll die Regierung jedem Bewohner umgerechnet fast 1000 Franken ausbezahlt haben. Einfach so. Die Haupteinnahmequellen sind der Tourismus und das Glücksspiel, das im Gegensatz zu allen Nachbarn erlaubt ist. Macau wird denn auch „Monte Carlo“ oder „Las Vegas des Ostens“ genannt.

Der Vergleich ist keineswegs abwegig. Auf der Halbinsel Macau und der mit drei langen Brücken verbundenen Insel Taipa reihen sich Casinos an teure Hotels und Shopping-Tempel. Einige Hotelkomplexe wie etwa das „Venetian“ gleichen ihrem Vorbild in der amerikanischen Wüste sogar aufs Auge. Sie sind gefüllt mit chinesischen Glücksrittern, die in der Regel jede Menge Geld auf Macau liegen lassen. Der reichste Mann Hong Kongs, ein wahrer Spielsüchtiger und VIP in sämtlichen Casinos, soll bei jedem seiner Besuche eine Million Franken verprassen. Was ihn nicht daran hindert, allmonatlich oder gar wöchentlich mit dem Privathelikopter wiederzukommen.

Doch Macau hat für die Abertausenden von Touristen auch noch anderes zu bieten. Wer mit der Seed-Fähre oder dem Flugzeug anreist, kann sich per Gratis-Shuttle in den historischen Stadtkern bringen lassen. Hier wimmelt es von portugiesischen Kirchen, alten und nachgeahmten neuen Bauten und Menschen. Wer in Eile ist, sollte diesen Stadtbereich besser meiden, denn ein Vorwärtskommen ist kaum möglich. Besonders an einem Sonntag. Besonders, wenn dann auch noch ein Grand Prix im Automobilsport ist.

Was man hier aber findet, und das ist weltweit wohl einzigartig, ist eine Verschmelzung der bröckelnden europäischen und er aufsteigenden chinesischen Kultur. Amtssprachen sind nach wie vor Chinesisch und Portugiesisch. Obwohl Letztere nur noch ein extrem kleiner Teil der Bevölkerung fähig ist zu sprechen, sind doch alle Strassenschilder, Läden und sogar Busfahrpläne in beiden Sprachen angeschrieben. An jeder Strassenecke findet man zudem portugiesische Süssigkeiten und  Restaurants. Ansonsten läuft in Macau alles ab wie in einem eigenständigen Land: Am Zoll git es, den Pass zu zeigen, Bezahlmittel ist der Macau Dollar, wobei der beinahe gleichwertige Hong Kong Dollar ebenfalls akzeptiert wird.

Und wenn abends oder nachts (die Fähren fahren rund um die Uhr) der Gaumen befriedigt, das Geld verspielt und die Einkaufstaschen gefüllt sind, geht es gut gelaunt zurück nach Hong Kong. Der Himmel ist klar, der Wind zügig, das Speedboot klatscht in stetem Auf und Ab über die Wellen und der Mageninhalt vieler Passagiere in die Spuckbeutel.