Achtung bissig!

November ist eigentlich die ideale Reisezeit für den Inselstaat Taiwan. Die feuchtheissen Tage sind vorüber, ebenso wie die (asiatischen) Touristenströme. Doch auch eine sichere Stadt wie Taipei ist mit gewissen tierischen Gefahren verbunden, bedenkt man, dass sogar jetzt noch das Termometer nachts nicht unter 20 Grad sinkt. In den Wäldern und Bergen kreucht und fleucht daher so allerhand Ungetier.

Zwei Uhr morgens: Meine dritte Nacht in der Hauptstadt Taiwans, ich sitze in der Notfallaufnahme und warte auf eine Spritze mit einem Gegengift gegen, ja gegen was eigentlich? Der linke Fussknöchel ist bedenklich rot angeschwollen, die Bissstelle färbt sich von rot zu violett-schwarz. Doch der Reihe nach.

Taiwan ist eine extrem bergige Insel. Taipei selber schlängelt sich um unzählige bewaldete Hügel. Beste Bedingungen zum Wandern, oder um nachts in einem hochgelegenen Teehaus die Lichter der Millionenstadt zu bewundern. So verschlägt es mich eines schönen Abends mit dem Sohn meiner Gastgeberin und zwei Kolleginnen auf einen dieser Hügel. Die Stimmung ist gelöst, der famose taiwanesische Tee bestellt. Nichts steht einer perfekten Nacht im Wege. Doch plötzlich Feuer.

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Mein linkes Bein brennt, als sei es von mehreren Quallen gleichzeitig attackiert worden. Der Blick unter den Tisch – was war das? Ein schwarzes Etwas, nicht länger als zehn Zentimeter, mit kleinem Kopf und vielen vielen Beinen huscht aus meiner Socke und schlängelt sich unter die Tischstütze. Himmel, wie das brennt! Das gesamte Bein hoch.

Meine Begleiter haben nichts bemerkt, machen sich aber Sorgen, bestellen Eis, fragen die Teehaus-Besitzerin, was es denn hätte sein können. Ich skizziere das schwarze Ding auf einem Stück Papier. Der Fall scheint klar, der Übeltäter ist hier oben bekannt. Nicht giftig, kein Problem. Als wir das Teehaus verlassen, erhalte ich noch eine Salbe gegen das Brennen.

Doch es hört nicht auf, im Gegenteil. Zurück in der Wohnung meiner Gastfamilie zeige ich die mittlerweile angeschwollene Stelle. Kurze Absprache der Familie. Mit dem Biss sei nicht zu Spassen, besser ab ins Spital. Auf dem Weg zur Notaufnahme telefoniert meine Gastmutter mit einem Familienmitglied in Kanada, die Sprachbarriere ist ein Problem. Die Englischkenntnisse sind begrenzt, mein Chinesisch nicht vorhanden. Ich beschreibe das Tier am Telefon. War es etwa ein Skorpion?

Lange nach Mitternacht: Die Patientenakte ist eröffnet, das Telefon mit der Krankenversicherung in der Schweiz erledigt. Der Englischsprachige Arzt schaut sich die Bisswunde genau an, befragt mich eingehend. Dann die Gewissheit: Es war ein Hundertfüssler! Diese Viecher beissen? Eine spätere Recherche soll ergeben, dass das Gift eines Hundertfüsslers meist nicht lebensbedrohlich ist, jedoch zu Herzrhythmusstörungen, Lähmungen, Schwindelanfällen und massiven mehrtägigen Schmerzen und Schwellungen führen kann.

Ich erhalte eine Spritze mit einer Art Gegengift in den rechten Oberarm und Tabletten, die ich über die nächsten drei Tage einnehmen muss. Um die Tetanus-Spritze komme ich nochmals herum, diese habe ich mir glücklicherweise bereits vor der Abreise in der Schweiz injizieren lassen.

Die Schmerzen gehen rasch zurück, ebenso die Schwellung. Nach dem ersten Schrecken tue ich mit meiner Gastfamilie das, was wir hier in Taiwan fast die ganze Zeit über tun: Wir gehen essen.