1000 heulende Löwenhunde

Die Inseln von Okinawa, mitten im Nirgendwo zwischen dem Chinesischen Meer und dem Pazifischen Ozean, sind den Naturereignissen tagtäglich ausgesetzt. So schön sie auch sind, so zerbrechlich scheinen die feinen Landstriche und kleinen Erhebungen im weiten Blau. Um sich vor Unheil zu schützen, haben sich die Bewohner einen Wächter angeschafft. Eine furchteinflössende bis komische Gestalt.

Shisa, eine Kreuzung aus Löwe und Hund, nennt sich der Wächter von Okinawa – oder besser gesagt die Wächter, denn in der Regel treten sie immer im Doppel auf. Postiert vor Tempeln, Restaurants, Läden und Wohnhäuser jagen sie den Passanten und hoffentlich auch allem Bösen Furcht und Schrecken ein. Das eine Fabeltier aus der japanischen Mythologie hält seinen Mund stets geschlossen, das andere dagegen sperrt seinen Schlund weit auf.

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Selbst am internationalen Flughafen in Naha, dem Haupt- und Verwaltungsort, bewachen zwei pelzige Shisa’s fauchend die Gepäckbänder. Natürlich wird aus den Tieren auch ein beträchtliches Geschäft gemacht: An jeder Strassenecke gibt es kleine Statuen zu erstehen, T-Shirts, Boxershorts, Hüte. Der eigentlich furchteinflössende Wächter verkommt hier schon mal zu einem verspielten, grinsenden Löwenhündchen.

Den Bewohnern von Ryukyu, den Okinawa-Inseln, bedeutet Shisa viel. Vielleicht beschützt er sie vor neuerlichen Kriegen. Zerstörung und Blutvergiessen wie während des Pazifikkriegs zwischen Japan und den USA will hier niemand mehr sehen. Vielleicht schützt Shisa auch vor den vielen Taifunen, die von August bis Oktober über die Inseln wüten – wenn es mal nicht die amerikanischen Kampfjets tun. Oder vielleicht schützt Shisa ganz einfach das kristallklare Wasser, das sich an die fantastischen weissen Sandstrände schmiegt.

Wer auf den kleinen Inseln wie Miyako und Zamami baden, schnorcheln oder tauchen gehen will, findet hier ein Paradies vor. Nur wenige Touristen sind in der Nebensaison an den in ganz Japan berühmten Stränden zu sehen, noch weniger wagen sich ins Wasser – obwohl dieses auch Ende Oktober angenehm warm ist. Velofahren auf den vereinzelten Strassen ist entschleunigend wie entspannend, fahren doch kaum Autos den Küsten entlang. Und wer eine der famosen Tauchgegenden mitten in den Korallenriffen findet, findet auch unzählige und farbenprächtige Fische. Kleine, blaue, die an den scharfen Riffen saugen. Lange silbrige, die wie Ale durch das Wasser zischen. Durchsichtige in Schwärmen organisierte Fische, die gelb und Blau reflektieren. Und natürlich Nemo, der Clownfisch, der sich in Seeanemonen versteckt.

Die milden Nächte lassen sich mit traditionellem Essen und Volksmusik versüssen. Es gibt frischen Tagesfang, Seetrauben, Auflauf mit der bitteren und Vitamin C-reichen Inselgurke Goya, Schinken vom lokalen Bauern und zum Dessert violett-süsse Drachenfrucht oder Süsskartoffelküchlein derselben Farbe. Und natürlich Awamori, den markanten Inselsake. Einzig Grillen und der stetig um die Häuserecken heulende Wind sind zu hören. Ein Paradies auf Erden. Leider kennt die Zeit kein Erbarmen, bald schon geht die Reise weiter.