Memoires of a Haircut

Ist man mal länger auf Reisen, kann es vorkommen, dass die Haarpracht schnell einmal zum Fluch wird. In Japan stehen nach nur kurzer Zeit die Haarbüschel jeden Morgen in alle Himmelsrichtungen ab. Ein neuer Schnitt muss her. Doch was simpel klingt, entpuppt sich als  gar nicht so einfaches Unterfangen, wie ein Coiffure-Besuch in der altehrwürdigen Stadt Kyoto zeigt. Eine Geschichte zum Schmunzeln. Coiffure-Salons gibt es in Japan und speziell in Kyoto zuhauf. Sie sind prominent deklariert, das Preisschild prangt in englischer Schrift vor der Eingangstür. 3650 Yen – weniger als 35 Franken – das, finde ich, ist ein guter Deal. Wir gehen also in den dritten Stock des „Garden Hairstyle“, die Lifttür öffnet sich und sechs erschrockene japanische Gesichter starren uns an. Gaijin, Ausländer. Zu Hilf. Was tun? Erst einmal freundlich-verlegen lächeln, das kommt gut an. Dann mit den Händen ein grosses „X“ formen und sagen, „Sumimasen, no English“. Dem Kunden soll klar gemacht werden, dass seine Wünsche hier leider nicht verstanden und umgesetzt werden können. Doch der Kunde und sein Begleiter wollen Partout den Raum nicht verlassen. Peinliche Stimmung. Lachen.

Dann, die Rettung in der Not: Ein Mann mittleren Alters tritt dazu, ein kleines Frottiertuch um den Hals gelegt. Er spricht bruchstückhaft Englisch. Und als er bemerkt, dass mein Kollege Travis Chinese ist, ist der Bann gebrochen. Der Japaner, der bis jetzt der einzige Kunde im Coiffure-Salon ist, hat in Taiwan gelebt und beherrscht Mandarin. Er fungiert ab nun als Übersetzer.

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Zuerst werden die Haare gewaschen. Doch anders als in der Schweiz gibt es dazu eine Kopf-Ohr-Massage. Zurück auf dem Friseurstuhl klopft eine der sechs Angestellten meine Schultern erst einmal weich. Das gehöre zum Standard-Service. In einem Magazin mit lauter japanischer Wuschelfrisuren versuchen wir den passenden Schnitt zu finden. Ich zeige auf ein Bild, alle Modalitäten sind geklärt. Ein junger Mann mit Schere, gebleichten Haaren, einem freundlichen Gesicht und furchtbarer Zahnstellung wird sich in der nächsten Stunde um mich kümmern. Er klemmt das ausgewählte Frisuren-Bild aus dem Magazin an sein Friseurwägelchen, studiert es ausgiebig, studiert mich, dann wieder das Bild.

Vorsichtig beginnt er zu schnippeln, ganz zaghaft und konzentriert, als bearbeite er ein kleines Bonsai-Bäumchen. Travis blickt skeptisch. Das wird noch lange dauern. Mit der Zeit scheint sich der Friseurmeister seiner Sache immer sicherer zu sein, die Haare fallen nun dichter zu Boden. Bis der junge Mann plötzlich innehält. Es ist vollbracht. Nochmals Haare waschen, nochmals Massage, diesmal von einer anderen Frau. Die restlichen fünf Angestellten wuseln tatenlos aber anscheinend geschäftig durch den Raum. Dann gibt es noch Gel in die Haare, und fertig ist der Kurzhaar-Schnitt mit leichter japanischer Note.

Als dem Kunden die Frisur auch noch gefällt, lächeln die sechs Angestellten erleichtert, froh darüber, alles richtig gemacht zu haben. Die Quittung und das Retourgeld überreichen sie mit einer Verbeugung, ein Erinnerungsfoto ist ebenfalls Pflicht.

Wir werden mit Dank beim Lift verabschiedet, der chinesisch sprechende Japaner sitzt immer noch auf seinem Stuhl und winkt zum Abschied. Travis lacht und sagt ungläubig: „Die haben dich ja behandelt wie einen König.“