Die Ideal-Koreaner

„Asiaten sehen alle gleich aus“ – ein viel zitierter Spruch. Natürlich stimmt das so nicht, obwohl Asiaten für kollektives Denken und Gemeinschaftssinn bekannt sind. Koreaner etwa arbeiten lange und hart, wenn sie nicht arbeiten, essen und trinken sie. Spätnachts sieht man sie dann nach Hause stolpern. Nach zwölf Tagen Südkorea will ich einmal die hiesige Volksseele ergründen. Ein Generalisierungsversuch.

Die rüstigen Rentner

Sie sind aus dem koreanischen Alltag nicht wegzudenken. Die Männer mit schwarzem Haarschnitt, die Frauen mit ebenso kurzer Lockenfrisur. Bewaffnet mit Wanderschuhen und Nordic Walking-Stöcken bahnen sie sich ihren Weg durch die vollgestopfte U-Bahn, und räumen, wenn es sein muss, ein lebendes Hindernis mit einem Rempler aus dem Weg. Ihr Ziel: einer der stadtnahen Hügel oder Berge. In Seoul gibt es davon ganze 37, in den kleineren Städten oft nicht weniger. Eingepackt in Sportjacken, Handschuhen und Stoffhüten schützen sie sich vor der Sonne, auch wenn die Ende Oktober noch so schwach scheint. Passt ihnen etwas nicht, oder sitzt ein Tourist auf den für sie vorgesehenen U-Bahn-Bänken, erntet dieser schon mal einen Schwall koreanischer Misslaunigkeit. Sind die Senioren aber erst einmal auf dem Berg angelangt und ist die koreanische Volksmusik auf dem Handy laut aufgedreht, sind sie mit sich und der Welt im Reinen.

Die Ninja-Velofahrer

Diese Gruppe ist vor allem in ländlichen Gebieten zu finden. Wie die „rüstigen Rentner“ fürchten auch sie nichts mehr als die Sonne. Da Fussgänger und Velofahrer sich den Streifen neben den Hauptstrassen teilen, macht es Sinn, immer mal wieder einen Blick über die Schulter zu werfen. Denn nicht selten braust ein Radfahrer heran, das Gesicht komplett mit schwarzen Tüchern und Schutzmaske vermummt. Eine freie Fläche Haut gibt es auch hier nicht zu sehen, egal, ob das Thermometer bei 15 oder 30 Grad liegt.

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Die Nerd-Studenten

Brillen sind in Südkorea absolut in. Je grösser, je dickrandiger, desto besser – sogenannte Trottelbrillen halt. Es scheint fast so, als sehe eine ganze Nation die eigene Hand nicht vor Augen. Selbst diejenigen mit perfektem Blick greifen dann und wann zum modischen Accessoire. Zur Not tut’s dann halt ein gläserloses, schwarzes Rahmengestell. Die jungen Nerds, die hier gar keine sind, weil in der Mehrheit, sind neben der Schule vor allem in den kleinen Café’s zu finden. Diese gibt es in Städten wie Seoul an jeder Ecke. Dass der angebotene Kaffee mit vier bis fünf Franken absolut überteuert ist und erst noch zweitklassig schmeckt, scheint ihnen nichts auszumachen. Nachts und nach einigen Flaschen Soju (Süsskartoffelschnaps) legen sie dann ihre Zurückhaltung ab und gehen auf die Pirsch. Diese endet meist im Delirium.

Die Schönheits-Diven

Gutes Aussehen hat in Korea oberste Priorität (nebst dem Essen, natürlich). Und, welch Glück, viele Koreanerinnen sehen bildhübsch aus. Absatzschuhe, Designer-Klamotten, die Beine lang und schmal, der Bauch schlank, die Oberweite üppig, das Gesicht perfekt geschminkt, die Züge makellos, als wären sie einem Modekatalog entstiegen. Ein Wunder der Natur. Oder doch nicht? Nun, diesem Wunder helfen viele Koreanerinnen etwas auf die Sprünge. So ist die Plastic Surgery, die plastische Chirurgie, populär wie kaum anderswo auf der Welt. Im Seouler Viertel Gangnam sind sie sogar auf dem Stadtplan verzeichnet. Augen werden grösser geschnitten, Nasen zusammengepresst, Brüste aufgepumt und Fett abgesaugt. Fertig ist die Schönheits-Königin. Nachts ist sie sich aber nicht zu schade für Alkohol, um schliesslich völlig betrunken nach Hause getragen zu werden.

Die Landesverteidiger

Diese Gruppe treibt sich besonders an den Bahnhöfen herum. Die Füsse in festen Springerstiefeln, Tarnanzug, das schwarze Béret schräg auf dem Kopf, verabschieden oder begrüssen sie ihre Liebsten. Das geht dann so, dass sie stramm die Beine zusammenschlagen und stolz vor der Familie salutieren. Die Männer, die allesamt zwei Jahre Wehrpflicht leisten, kommen von der Grenze im Norden, die nur etwas mehr als 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt. Erstaunlich dabei ist: Nie schleppen die jungen Soldaten Waffen oder Gepäck mit sich, dafür aber modische Papier-Tragetaschen. Vielleicht ein Fresspacket für die Kaserne, oder ein Mitbringsel von der Front?

Und noch etwas zum Schmunzeln

Korea ist zwar ein fortschrittliches Land und seine Einwohner westlich orientiert. Dennoch leben viele Familien traditionell und auf engstem Raum zusammen. Selbst die Jungen ziehen auch im Alter von 20 und 30 selten von zuhause aus. Was tun also, wenn sich zwei Herzen gefunden haben und ein wenig Anonymität suchen? In Japan gibt es die Love Hotels, hier werden sie ganz unverdächtig „DVD Bang“ genannt (Bang bedeutet Raum). Die Zimmer sind mit Bett, Fernseher und DVD-Gerät eingerichtet. Wie Einheimische berichten, soll das Filmschauen aber zweitrangig sein. Eine Eigenheit sind auch die „Kissing Bangs“. Da Küssen auf Koreas Strassen verboten ist, und nicht jeder Mann eine Frau abbekommt, bietet es sich für Singles an, eines dieser Etablissements aufzusuchen. Hier warten zierliche Universitätsmädchen, die für eine gewisse Zeitspanne und natürlich gegen Bezahlung Zärtlichkeiten austauschen – nicht mehr und nicht weniger.